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Wissenschaftsjournalismus - ein Beruf mit Risiken und Nebenwirkungen Zuerst möchte ich ein Geheimnis verraten. Und zwar das Geheimnis des Wissenschaftsjournalismus. Das Geheimnis heißt Spaß. Wenn alles gelingt, dann macht der Wissenschaftsjournalismus den Wissenschaftlern, den Journalisten und dem Publikum richtig Spaß. Was natürlich frivol klingt. Schließlich ist uns das Ende der Spaßgesellschaft verkündet worden. Finstere Zeiten sind das, ich weiß. Aber es gibt eine anthropologische Konstante, die sich nicht wegleugnen läßt: Der Mensch will unterhalten werden. Er will spielen. Denn das ist eine Form des Lernens, und der Mensch ist ein sehr lernbegieriges Tier. Das ist sein evolutionärer Startvorteil. Das Spiel- und Spaßbedürfnis des Menschen dient außerdem der Psychohygiene, der seelischen Stabilität. Es dient dazu, mit den Widrigkeiten der Welt fertigzuwerden. Und so wird der Wunsch, unterhalten zu werden, gerade in Krisenzeiten zum Bedürfnis. Wissenschaftsjournalisten haben einen gewaltigen Vorteil: Ihr Sujet ist ausgesprochen unterhaltsam. Das hat mit der Logik der naturwissenschaftlichen Forschung zu tun: Sie zielt auf das Neue. Just deshalb bedürfen Krisenzeiten, vielleicht mehr als andere, der wissenschaftsgestützten Ermunterung: Wer sich die Kultur der Neugier erhält, kommt - womöglich - auf neue Ideen. "Wissen hält nicht länger als Fisch" In der Naturwissenschaft gehört die Entdeckung des Neuen und das Umbewerten des Alten zum Alltag. Hier gilt der Satz des Logikers und Philosophen Alfred North Whitehead: Wissen hält nicht länger als Fisch. Dieser Satz enthüllt zugleich die tiefe Verwandtschaft zwischen der Wissenschaft und dem Journalismus. Denn auch wir haben eine enge Beziehung zum Fisch: Heute schreiben wir Printleute die Zeitung voll, und morgen wird Fisch darin eingewickelt. Dieser Spruch hat übrigens eine lang zurückreichende Tradition: Über das Einwickeln von Fisch in Schreibpapier äußerte sich schon der römische Dichter Martial im ersten Jahrhundert nach Christus. Martial kannte das Fernsehen nicht, aber in den Sendeanstalten gibt es einen Spruch, der ähnlich heilsame Wirkung hat: Man sagt dort "das versendet sich". Man sagt es mit Bedauern. Aber es ist gut, wenn sich etwas versendet, und gut, wenn das Gedruckte verschwindet: Das schafft Platz für Neues. Die kurze Aufmerksamkeitsspanne der Medien, ein vielbeklagtes Phänomen, hat auch ihre positive Seite. Wir haben immer etwas Neues zu erzählen, besonders wir Wissenschaftsjournalisten. Neugier und Skepsis gegenüber dem "Neuen" Es ist freilich nicht leicht, sich den Sinn für das Neue zu bewahren. Wer in diesem Geschäft schon länger mitmacht, hat allerhand angeblich Neues schon mehrmals gehört. Wie viele endgültige Durchbrüche in der Solartechnik habe ich schon erlebt! Da wird immer wieder das Schizophrenie-Gen gefunden, der Krebs beinahe besiegt, und alle naslang lernen Ingenieure angeblich von der Natur, ressourcensparender zu konstruieren als bisher; da tritt der Wasserstoff seinen Siegeszug in der Energietechnik an, die Autos werden keramisch und die Zeitungen elektronisch. Wer alles dies immer und immer wieder erzählt bekommt, der schwebt in Gefahr, bei jedem Themenvorschlag abzuwinken: Hatten wir schon mal, Thema ist durch, ist doch nichts Neues, oder - noch entmutigender: Ach, das ist bestimmt wieder sowas Unseriöses oder Langweiliges wie neulich. Dieser Haltung anheim zu fallen ist ein Risiko des Journalisten, für den der Umgang mit dem wissenschaftlich Neuen zum Beruf gehört. Zwar ist die Skepsis eine Tugend, aber die Neugier eben auch, zumindest ist sie eine journalistische Tugend. Und wer sich den Sinn für das Neue erhält, der wird immer wieder mit Geschichten anrücken, die noch nie erzählt wurden, und mit Bildern, die noch nie gezeigt wurden. Weil so etwas im Wissenschaftsjournalismus möglich ist, wird er zunehmend interessant für die Medien-Ökonomie. Wissenschaft ist gefragt Medien sind ein Wirtschaftszweig, der Waren und Dienstleistungen produziert wie andere Wirtschaftszweige auch. Welche Waren und Dienstleistungen produziert werden, das hängt in erster Linie von der Nachfrage ab, und siehe da: Die Nachfrage nach Wissenschaftsjournalismus scheint zu wachsen. Das belegen neu eingeführte und von prominenten Moderatoren präsentierte Wissenschaftssendungen. Das belegen auch die stabilen Auflagenzahlen der wissenschaftsorientierten Magazine. In der Aufmerksamkeitskonkurrenz, in der die Medien stehen, verschafft der Wissenschaftsjournalismus Vorteile. Die Frage ist nur, was unter Wissenschaftsjournalismus zu verstehen ist. Vielleicht ist es in diesem Zusammenhang sinnvoll, sich zu überlegen, was Wissenschaft ist. Was immer sie auch sonst sein mag, sie ist ein sozialer Vorgang. Da sind Menschen, und sie handeln. Also ein sozialer Vorgang. Es ist ein sozialer Vorgang in dem Wissen entsteht. Und was immer unter Wissen verstanden werden mag, es setzt voraus, dass jemand von seiner Gültigkeit überzeugt ist. Ein sozialer Vorgang in dem Überzeugungen entstehen, das wenigstens ist Wissenschaft. Wir sind keine Akzeptanzbeschaffer Was also ist die Aufgabe des Wissenschaftsjournalisten? Was ist sein Gegenstand? Früher war die Forderung weit verbreitet, der Wissenschaftsjournalist habe die Aufgabe, den Dolmetscher der Wissenschaft zu spielen. Nein, das ist falsch. Der Wissenschaftsjournalist hat kritisch über die Wissenschaft zu berichten. Über den Herstellungsprozess von Überzeugungen, was selbstredend die Überzeugungen einschließt. Also ist der Wissenschaftsjournalist kein Akzeptanzbeschaffer. Ebensowenig, wie der Politikjournalist das Sprachrohr der Politik, der Wirtschaftsjournalist das Sprachrohr der Wirtschaft oder der Gastrojournalist das Sprachrohr der Gastronomie sein darf, ebensowenig ist der Wissenschaftsjournalist das Sprachrohr der Wissenschaft. Der Journalist hat beispielsweise nicht brav abzuwarten, bis die Deutsche Forschungsgemeinschaft sich zu einem Urteil über einen Wissenschaftsskandal durchgerungen hat - wie mir kürzlich in einem Brief nahegelegt wurde -, sondern er soll als Dienstleister des Publikums über die Wissenschaft informieren. So gut er eben kann. Gut erzählte Geschichten sollen mitreißen Über die Wissenschaft zu informieren heißt eben nicht bloß, ihre Ergebnisse darzustellen. Der Politikjournalist schreibt auch nicht nur über das, was sich als Gesetz im Bundesgesetzblatt oder sonstwie als Hoheitsakt umgesetzt hat. Wir senden und drucken Informationen über den Prozess, über den Vorgang, über die Produktion von Wissen oder Politik. Und damit über das Handeln von Menschen, über soziale Verhältnisse und Interaktionen. Das ist nicht nur wichtig, es ist auch viel interessanter. Denn auf diese Weise können wir Geschichten erzählen. Und nichts reißt Zuschauer oder Leser mehr mit als eine gut erzählte Geschichte. Der Journalist stammt kulturhistorisch vom Geschichtenerzähler ab. Zwischen Unterhaltung und Information will ich da keine Mauer erkennen. Doch an dieser Stelle muss noch einmal Wasser in den Wein gegossen werden. Denn auch wenn der Wissenschaftsjournalismus in Deutschland expandiert, wenn es eine wachsende Zahl von wissenschaftsjournalistischen Sendungen und Texten gibt, auch wenn die Zahl junger, fähiger und gut ausgebildeter Kollegen auf diesem Gebiet ansteigt, und obwohl es mehrere Initiativen für die Ausbildung gibt: Trotz dieser positiven Zeichen droht Gefahr. Sie hat mit der Krise der Geschäftsmodelle in der Medienwirtschaft zu tun, namentlich des Geschäftsmodells Zeitung. Auf diese Krise reagieren etliche Verlage derzeit recht phantasielos damit, dass sie die Ressourcen verknappen, aus denen das Wissen stammt: Die Anzahl der Redakteure, die Honorare für freie Journalisten, die Abonnements von Fachzeitschriften, die Reisen zu Kongressen und in die Labors. Riskante Tendenz: googeln statt reisen Eine solche Unternehmenspolitik verknappt das Wissen und auch Zeit, es sich zu erwerben. Sehr riskant. Denn diese Strategie paßt nicht zur Wissensökonomie. Und sie unterstützt die schlechtesten Gewohnheiten. Etwa die, nicht die Originalstudie zu lesen, sondern nur die Presseerklärung. Oder zu googeln, anstatt zu reisen. Es droht der Verlust an Kritikfähigkeit und an Anschaulichkeit. Es würde dann keine Aufklärung mehr geben, es würde dann keine richtigen Geschichten mehr geben. Man kann nur warnen: Denn der Leser ist nicht dumm, er wird es merken, irgendwann. Und dann leidet das Image. Medienprodukte, Zeitungen zumal, sind Markenartikel. Wie Autos. Und wehe, wenn im Innenraum eines Luxuswagens auf einmal billiges Plastik auftaucht, das schon nach zwei Wochen abzublättern beginnt. Schlechte Gewohnheiten, mangelnde Sorgfalt, die Oberflächlichkeit, sie bergen besondere Risiken dort, wo gefahrgeneigte Arbeit geleistet wird. Journalismus ist ebenfalls gefahrgeneigte Arbeit. Risiken und Nebenwirkungen Was gefahrgeneigte Arbeit ist, erklärt uns die juristische Definition: "Gefahrgeneigte Arbeit liegt vor, wenn die vom Arbeitnehmer zu leistende Arbeit ihrer Art nach eine besonders große Wahrscheinlichkeit in sich birgt, dass Versehen unterlaufen - und dadurch Schäden verursacht werden, die zum Arbeitseinkommen des Arbeitnehmers in unangemessenem Verhältnis stehen." Nun, diesen zweiten Teil der Definition blende ich jetzt einmal aus. Aber sprechen die "besonders große Wahrscheinlichkeit, dass Versehen unterlaufen", die ist in einem schnellen Geschäft wie dem Journalismus ganz gewiss gegeben. Da werden schon mal Millionen mit Milliarden verwechselt, Millimeter mit Nanometern, Atome mit Molekülen, Kohlenstoff mit Kohlendioxid, Stammzellen mit Embryonen, und speziell wenn es um Statistisches geht, gerät so manches durcheinander. So hieß es beispielsweise in einer guten Zeitung aus Berlin: "In Japan und China liegen die Durchschnittstemperaturen weit über den Mittelwerten." Rätselhaftes Asien. Aber Journalismus ist eben fehlergeneigt, ist eben riskant. Voller Risiko sind auch die Versuchungen, denen wir Medienleute ausgesetzt werden. Der Journalist, der immer wieder Wissenschaftliches begreifen und erklären muss, glaubt eines Tages womöglich, er sei selbst schon eine Art Wissenschaftler. Dies ist ein Phänomen, das auch von Politikjournalisten bekannt ist. Man fühlt sich mehr und mehr zu denen hingezogen, über die man schreibt. Die Gefahr der Vereinnahme Und die finden das natürlich großartig. Sie lassen den Journalisten mal ein Vorwort zu einem Fachbuch schreiben, laden ihn zu Moderationen oder Vorträgen ein, verleihen ihm Preise. Man beginnt, einander zu duzen. Das ist ja auch im Prinzip ganz in Ordnung - ein Journalist soll sich nicht fernhalten von den Communities, sondern sich in ihnen bewegen. Er soll nur niemals glauben, er gehöre dazu. Denn dann wird er doch noch zum Sprachrohr. Eine böse Nebenwirkung der Anerkennung, die ein Journalist finden kann. Pressesprecher zu sein ist natürlich etwas anderes, das ist eine ehrenwerte Aufgabe. Aber der Journalist wird nicht für diese Aufgabe bezahlt, sondern dafür, dem Publikum als Scout zu dienen, als Aufklärungseinheit im Dschungel der Forschung. Er begibt sich dorthin, stellt Fragen, schaut sich alles an und kehrt zurück mit Geschichten, die er sodann erzählen kann. Diese Aufgabe zu vergessen, ist vielleicht das größte Berufsrisiko des Wissenschaftsjournalisten. Und wer keine Geschichten mehr erzählen kann, sondern nur noch Infos umformatiert und weiterreicht - der wird auf Dauer keine Freude am Beruf haben. Nur wer diese Freude am Gegenstand und an den journalistischen Formen empfindet, der erzeugt sie auch bei Lesern und Zuschauern. So nützlich der Wissenschaftsjournalismus auch sein mag, für den Standort, für die Wirtschaft, für die Vernunft, wofür auch immer. Seine vielleicht beste Seite ist eben diese ein: Er bereitet Freude. (c) Gero
von Randow |
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